Dienstag, 5. Februar 2008

Leben: Der Erlkönig (von Optimist)

Wer kennt sie nicht, die begehrtesten Foto-Motive der Autonarren: Die Erlkönige. Testautos, auffällig unauffällig in mattem schwarz, meist noch in unbeholfen verhüllter Karossenform unterwegs. Das Foto eines solchen Fahrzeugs (wie hier, aus Google geklaut) ist ein Katapult für den frisch gebackenen Nachwuchs-Paparazzo: verheißt es dem glücklichen Entdecker doch elitären Wissensvorsprung, 500€ von BILD fürs Exklusiv-Foto und mindestens 30 Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit am nächsten Stammtisch beim "Udo" um die Ecke.

Und warum soll ich nicht auch mal Glück haben? Ich konnte mein Glück erst noch gar nicht fassen, aber dann war ich geistesgegenwärtig genug, um gleich abzudrücken, bevor ich dringend weiter musste. Handykamaras sind halt doch ein wahrer Segen! Und hier ist er, mein stolzer Fang:



Was ist? Achso, naja, Erlkönige gibts natürlich nicht nur im Autosektor. Der Geist ist doch, einen Prototypen zu erwischen! Die Speerspitze der Forschung - die Material gewordene Vision! Am besten, wenn er gerade ausprobiert wird. Und das sieht man doch! Oder nicht? Zugegeben, mir ist es ja auch erst nicht aufgefallen, aber hier nochmal zur Verdeutlichung:



Dieser harmlos scheinende Aktenschrank in mattem Anthrazit, etwas unbeholfen aufgestellt und klobig in der Erscheinung, dieser Aktenschrank also, ist VOLL VERKABELT! Nicht genug damit, das der Schrank mit Strom versorgt wird, schön zu sehen auch an der handelsüblichen Dreifach-Steckdosenleiste weiter oben; der Prototyp hat scheinbar noch eine Kinderkrankheit mit der Kabellänge. Man bedenke - ein Aktenschrank mit Strom! Nein, das war noch nicht alles: Er hat sogar einen LAN-Anschluss. NETZWERK!!!

Ich grüble still vor mich hin. Wozu um alles in der Welt soll das gut sein? Und nach einer Weile fällt endlich der Groschen bei mir. Diese ganzen Sprüche von wegen: Jede Kaffemaschine, jeder Herd, jeder Kühlschrank wird irgendwann einen Netzanschluss haben. Mal ehrlich, das ist doch kalter Kaffee. Schnee von gestern. Olle Kamellen. Hier, an Ort und Stelle, direkt vor meiner Nase wird die gesamte Möbelbranche revolutioniert! Schränke, Schreibtische, Sideboards, alle werden in Zukunft LAN-Anschlüsse haben!

Und jetzt wirds bunt in meiner Phantasie: Ich ahne schon wie "G2" - die zweite Generation - der neuen Produkte aussieht: Die haben sicher längere Stromkabel und vor allem, noch viel schlauer: WLAN! Mit einer simplen Batterie, vielleicht reicht ja schon eine Knopfzelle, kann dann sogar jeder Bürostuhl ans Netz gehen. Und man kann ihn orten. Ich werde endlich den elenden Halunken zufassen bekommen, der mir dauernd meinen heißgeliebten AERON-Chair klaut und mir dafür seinen abgewetzten Flatulenz-Sessel unterzujubeln versucht! Stühle mit WLAN - DAS ist VISION - und ganz sicher auch der feuchte Traum jedes Anlagenbuchhalters. Man stelle sich vor: Inventarisierung auf Knopfdruck! Auffinden jede Möbelstücks in Sekundenschnelle!

Ich sehe schon den sozialen Aufstieg von Anlagenbuchhalter Meyer kommen. Jeder Abteilungsleiter, der bisher heimlich bei Nacht und Nebel seinen Möbelbestand beim Abteilungsumzug etwas "bereichert" hat und dem ungeliebten Paschulke von der Innenrevision das Sideboard nebst darin befindlicher Beamerbestände gemopst hat, wird sich mit Buchhalter Meyer nun gut stellen müssen, damit er nicht auffliegt. Meyer indes, seine Chance auf Aufstieg witternd, wird ein hartes, gute getarntes Schutzgeldsystem installieren, sich die Taschen seines grauen Anzugs vollstopfen und sich schließlich vom ergaunerten Vermögen selbst einen AERON leisten können.

Halt mal.

Ist Meyer etwa der Übeltäter, der meinen Stuhl dauernd klaut? Etwa dieser kleine unscheinbare Erdwurm aus der Buchhaltung? Diese elende Hyäne von einem korrupten Buchhalter? Werde Meyer gleich morgen früh zur Rede stellen. Sowas! Da wäre ich im Leben nicht drauf gekommen.

Habe dem Schrank vorsorglich noch die Kabel rausgezogen. Wehret den Anfängen! Möbel mit LAN. So ein Unsinn. Visionen, wenn ich das schon höre! Wie sagte schon Altkanzler Schmidt: "Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen!". Und außerdem: wer will schon Schutzgeld an korrupte Buchhalter zahlen. Wart nur, Meyer, Dir zahl ichs heim ....

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

gut geschrieben, optimist :-)