Mittwoch, 21. November 2007

Leben/Presseschau: Abnabelungsprozess (von Optimist)

Viele Firmen suchen noch nach authentischen Leitmotiven, die Bahn hat längst eines gefunden: Der Kunde ist ein Ärgernis, das es zu bekämpfen gilt.
Problem dabei: Der Kunde zeigt sich hartnäckig.

Kapitel eins. Ein schwacher Versuch, sich vom Kunden zu lösen war, das Personal im Reisezentrum abzubauen, dessen Öffnungszeiten zu kürzen. Aber: Der Kunde kam trotzdem, stellte sich fortan in lange Schlangen und besorge sein Ticket im Notfall im voraus. Versuch weitgehend fruchtlos.

Die Bahn, des Umstands gewahr, mit Kapitel eins zu kurz gesprungen zu sein, stellte fortan, wie allseits bekannt, allenthalben fleissig Friss-oder-Stirb-Fahrkartenautomaten auf, um sich vom unseeligen Zwiegespräch mit dem Schienen-Plebs zu befreien. Service ja, aber bitte am Automaten. Soweit Kapitel zwei im Abnabelungsprozess vom Kunden.

Kapitel drei hingegen war und ist durch das sporadische Auftauchen von "Automaten-Guides" (Text an der Stelle der Uniform, wo sonst "Bahnpolizei" oder "FBI" steht) geprägt. Wer darin kein implizites Eingeständnis sieht, dass die Automaten nicht Gehirnkompatibel sind, möge mir widersprechen. Soll der Pöbel doch lernen, wie wir uns das gedacht haben. Umerziehung am Kunden, sozusagen.

Nun jedoch scheint Kapitel vier aufgeschlagen worden zu sein. Die Volkshochschule Schweinfurt bietet ab sofort Kurse mit dem Titel "Automatenschulung DB-Regio" an. Wer das nicht glauben kann, der Beweis ist hier. Die fränkische "Main-Post" stürmt sogar am 16.11. mit einem halbseitigen Artikel auf das Thema zu. - Titel: "Geheimnis Fahrkartenkauf" und in der Bildunterschrift "Furchtlos zum Fahrkartenkauf". Der Automat als Bedrohung, als Übernmacht fast, die es zu bezwingen gilt. Drachenähnlich.

Ich bin auf Kapitel vier gespannt. Die Nabelschnur scheint zäher als erwartet zu sein.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hey, das ist ungerecht. Ich muss hier mal wieder eine Lanze für die gute alte Bahn brechen. Fakt: A) es gibt (noch) keine ökonomisch/ökologisch sinnvolle Alternative zur Bahn.
B) wieviel hunderte KM Stau haben wir jeden Tag in Deutschland?
C) Wieviel Zeit verschwenden wir jeden Tag nutzlos im Auto?
D) Wieviel Geld kostet ein Auto im Jahr?
E) Wie oft hat man Ärger mit der Qualität beim PKW? (ich spreche nicht von Opel. Ein Bekannter von mir ist hartnäckig, hat den 3 Benz und das 3 Mal ist die komplette Elektronik ausgefallen!)
F) Last but not Least: die Lufthansa hat auch "Fahrkartenautomaten": nicht einfacher und nicht komplizierter. Keiner beschwert sich über diese. Merkwürdig?
Denkt mal drüber nach!
MF

Realist hat gesagt…

Also, Moment! Da muss ich den Kollegen ja in Schutz nehmen! Er kritisiert ja nicht die Bahn als Konzept, sondern die Umsetzung!

Aber zu deinen Punkten:

a) Doch: Zuhause bleiben! Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn einfach jeder zuhause bleiben würde. Ok, ich muss nächste Woche wieder raus - war ja nichts mit dem Jackpot.

b) Kein Ahnung, aber jeder einzelne davon ist VOR mir

c) zu wenig. Es bleibt immer noch zu viel Zeit zum Arbeiten übrig

d) Keins. Ist ein Firmenwagen

e) Kaufst du Audi, Alter! :o)

f) ja, aber da muss ich nur die Karte durchziehen. Und ueberhaupt haben die im Gegensatz zur DB ja auch noch Schalter - sogar mehr als einen.

Und die Bonusfrage:

Wie viele (Spass-) Autos hat die Familie F denn so? ;o)

Optimist hat gesagt…

Naja, Marius hat ja recht. Und ich natürlich auch. Ich fahr ja wegen A) bis C) Bahn aus Überzeugung und bekomm mit dem Auto nicht 10% soviel km zusammen - soviel mal zur grundsätzlichen Einstellung.

Das ich das Blog nicht zum reinen Bahnservicebashing verkommen lassen will ist aber auch der einzige Grund, warum ich nicht schon weitere hundert andere Beispiele gebracht habe, die mir als zahlenden Kunden die Haare zu Berge stehen lassen.

Natürlich will die Bahn die Kunden nicht ernsthaft loswerden, aber sie begreift nicht, dass der Kunde als Mensch im Mittelpunkt stehen muss und nicht als Transport- und Transaktionsobjekt. Oder falls sie es doch begriffen hat, dann kann sie es gut verbergen.

Und bei den Lufthansaautomaten schwillt mir ja auch gleich wieder der Kamm. Wer Gepäck hat, investiert da doppelte Zeit ist bis jetzt meine Erfahrung. Aber ich bin kein Vielflieger.
Ausserdem zur Lufthansa: Nettes Personal, meistens gut geschult, nicht selten hübsch anzuschauen und bis jetzt kam noch nie "Grüß Gott, Personalwechsel, die Fahrkarten!".

In Japan wird für den Shinkansen z.B. auch gleich am Bahnsteig kontrolliert, dann ist die Sache durch. Und der Schaffner verbeugt sich vor den Fahrgästen wenn er das Abteil betritt und wieder verlässt :-) geht doch!