Samstag, 7. März 2009

Presseschau: "Ich sehe hörbares Schweigen" (von Optimist)

Suspekt waren sie mir ja schon immer, diese kreativen Menschen in all den Werbeagenturen, bei denen die Namen der Agenturen meist schon so wahnsinnig schlau ausgedacht sind. Gut, Namen wie "Amt für Neuvermittlung in der Werbewirtschaft" wäre sicherlich nicht so der Reisser, von daher kann ich das schon verstehen.

Aber diese kreativen Menschen sind mir zuwider. Gegen all ihren Ideen für Neues, ihrem achzundzwanzigsten Sinn für Verrücktes, ihrer Fröhlichkeit und Lebensbejahung, steht da natürlich die Aburteilung allerhand meiner liebgewonnenen, althergebrachten Gewohnheiten, Klamotten und Sprachausdrücke. Nicht hip. Nicht kreativ. Langweilig. Jaja, ich weiss es ja!

Jener Ideenschmied der Werbewirtschaft jedoch, dem aus Anlass von ausbleibender Rückmeldung zu seinem Werbeentwurf das Zitat "Ich sehe hörbares Schweigen" ausgebüxt ist, scheint noch Sinne weit im dreistelligen Bereich zu haben. Da komm' ich nicht jedenfalls nicht mehr mit. Und wenn er sehen kann, was ich nicht sage, dann ist er ein verdammter Gedankenleser und soll mir gefälligst vom Leib bleiben! Weiträumig! Wobei: Gibt es für Gedankenlesen eigentlich Maximalabstände?

Sein fünfhundertdreiundvierzigster Sinn für knackige Werbesprüche hat jedenfalls zu meiner persönlichen Genugtuung völlig versagt, er wollte nämlich analog zum baden-würrtembergischen "Wir können alles außer hochdeutsch" in einer gerade-noch-Großstadt den Spruch "Provinz auf Weltniveau" platzieren. Nicht zu unrecht, wie man denken mag, immerhin werden hier Marsroboter gebaut, mitten in einer größeren Häusersammlung und zwischen allen expandierenden Metropolregionen.
Aber beim Wort Provinz ist mein lieber Werbefachmann ganz blauäugig falsch abgebogen, denn: Wer lebt schon gern in der Provinz? Die Bürger dieses Nests jedenfalls nicht und auch sonst niemand. Provinz ist relativ und immer dort, wo es noch trostloser ist, als hier. Daher kann der Texter des Spruchs auch die Ablehnung gar nicht verstehen, denn er lebt dort, wo die Kreativität per Definition aus dem Füllhorn quillt: In Berlin. Naja, und von Berlin aus ist ja selbst New York Provinz.

"Provinz ist, wo ich bin" wird mein lieber Realist zur Gegenrede rufen, denn dieser Spruch prangt schon seit Jahren auf einer pechschwarzen Postkarte an wechselnden Orten seiner Behausung. Das ist mir auch suspekt. Vermutlich ist er heimliches Mitglied einer Kreativagentur, hat dauernd so schlaue Ideen und tarnt sich mit ätzender Selbstironie unter dem Deckmantel des Provinziellen. Wenn er dann also auch, wie sein virtuoser Texter-Kumpel aus Berlin, "hörbares schweigen sehen", werde ich in seiner Gegenwart nur noch an graue Anzüge, Mickey-Mouse-Krawatten und schlechtes Wetter denken. Das wird ihn quälen und foltern und schließlich wird er gestehen, dass er eine erfolgreiche Agentur führt, die so einen tollen verrückten Namen "hörbares Schweigen" hat.

Eine Sache jedoch ist seine unabstreitbare Wahrheit, die sich auch meine Nachbarn schmerzlich vor Augen führen sollten:

"Provinz ist, wo ich bin" - da kann man hörbar schweigen, solange man will.

Optimist

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